Biotechnologie als Schlüssel zu Bekämpfung der Corona-Pandemie

Ausgerechnet an Silvester 2019 meldeten deutsche Leitmedien erstmals detaillierter über den Ausbruch einer neuartigen Lungenkrankheit in China. Damals noch nicht absehbar war der weltweite Einfluss dieses mittlerweile als SARS-CoV-2 benannten Virus auf die gesamte Welt. Allein in den ersten drei Monaten 2020 erkrankten offiziellen Schätzungen zufolge über 700.000 Personen weltweit, die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein. Gesundheitssysteme aller Länder befinden sich im Ausnahmezustand.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in universitären und außeruniversitären Einrichtungen und in Unternehmen auf der ganzen Welt arbeiten jeden Tag daran, das Virus besser zu verstehen, Patienten mittels molekularer Diagnostik zu identifizieren, einen Impfstoff zu entwickeln oder eine wirksame Therapie zu finden.

Die Biotechnologie ist dabei von fundamentaler Bedeutung. Innerhalb weniger Wochen ist es, mit Hilfe gentechnischer und molekularbiologischer Verfahren, gelungen das Corona-Virus (SARS-CoV-2)zu isolieren und genetisch zu entschlüsseln. Nur dieses Wissen machte es möglich, schnell erste diagnostische Tests zu entwickeln und die Suche nach Therapien und neuen Impfstoffen zu beschleunigen.

Virus verstehen – welchen Beitrag leistet die akademische und industrielle Forschung?

Deutschland zählt zu den forschungsintensivsten Volkswirtschaften weltweit und hat Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE), die weit über dem OECD-Durchschnitt liegen. Im Bereich der medizinischen und biotechnologischen Grundlagenforschung ist der Standort Deutschland sehr breit aufgestellt.

Mit dem Robert-Koch Institut verfügt Deutschland über eine zentrale Einrichtung der auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention. Im akademischen Bereich gibt es 40 medizinische Hochschulen und 18 Hochschulen im Bereich der Biotechnologie. Einrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Leibniz Gemeinschaft verfügen zusammen über mehr als 40 Institute aus dem Bereich der Lebenswissenschaften. Dieses starke Gerüst an universitärer und außeruniversitärer Forschung bildet das Rückgrat der deutschen Medizinforschung und ist fundamental für eine schnelle und kompetenten Reaktion auf globale Herausforderungen.

Die ausgesprochen schnelle Analyse des Virus-Erbguts und die schnelle Durchführung und Auswertung der diagnostischen Tests ist zudem auf die rasante Entwicklung und Verbesserung der zugrundeliegenden Technik und der eingesetzten Reagenzien zurückzuführen. Hier haben Biotechnologieunternehmen ebenfalls einen wichtigen Beitrag geleistet.

Als wichtige Experten haben zahlreiche deutschen Virologen seit Beginn des Ausbruchs ihre Expertise zur Verfügung gestellt. Am bekanntesten ist der Charité-Professor Christian Drosten, der bereits bei der SARS-Pandemie 2002/2003 einer der ersten Wissenschaftler war, dem die Entwicklung eines diagnostischen Tests gelang und dafür im Jahr 2005 das Bundesverdienstkreuz erhielt. In der Corona-Krise berät Drosten die Politik bei der Bekämpfung der Krise und bietet in seinem täglichen Podcast aber auch Interessierten Bürgern Einblicke in seine Arbeit und die Herausforderungen von Ärzten, Pflegern und den Gesundheitsämtern.

Da das Corona-Virus sich als Pandemie über die gesamte Erde verteilt, ist Forschungs- und Erkenntnisaustausch über Ländergrenzen hinweg unerlässlich. So arbeitet beispielsweise die Justus-Liebig-Universität Gießen im sogenannten OpenCorona-Konsortium unter Federführung der Stockholmer Karolinska Universität an der Schnellentwicklung eines Impfstoffes. Das OpenCorona Projekt ist eines von allein 17, die aktuell mit Fördergeldern der Europäischen Union unterstützt werden.

Der aktuelle Fokus der Epidemiologen liegt darin die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und mittelfristig durch Impfstoffe oder Therapien eindämmen zu können. Um zukünftige Pandemien zu verhindern bedarf es aber auch Wissen darüber, wie die Viren entstehen und wo sie auf den Menschen übertreten. Es wird vermutetet, dass das aktuelle Corona-Virus von Fledermäusen stammt und auf einem chinesischen Tiermarkt in Kontakt zum Menschen kam. Veterinärprofessoren wie Dirk Pfeiffer forschen in einem multinationalen Konsortium an solch zoonotischen Viren und an Möglichkeiten der Verbreitungsintervention.

Diagnose – Wie funktioniert ein Test, wer wird getestet, wie aussagekräftig ist er?

Die Weltgesundheitsorganisation rät allen Ländern so viele Tests wie irgend möglich durchzuführen. Nur so lässt sich eine möglichst realistische Zahl der Infizierten ermitteln, nur so lässt sich lernen, wer als Träger des Virus aus welchen Gründen keine Symptome entwickelt oder wer im Gegenteil einen besonders schlimmen Krankheitsverlauf aufweist. Dennoch mehren sich auch in Deutschland kritische Stimmen und Unsicherheiten, weil mutmaßlich Betroffene trotz deutlicher Symptome nicht getestet werden. Dies liegt auch an überlasteten Laboren, zu wenigen Testsystemen und an zu geringen Kapazitäten der Gesundheitsämter. Die zahlreichen Tests auf Corona werden von vielen deutschen Biotechnologie-Unternehmen angeboten und weiterentwickelt.

Wie wird getestet? Medizinisches Fachpersonal nimmt einen Abstrich aus dem Rachen. Dabei werden Corona-Viren, so vorhanden, entnommen. Die Probe wird ins Labor transportiert, dort in einem mehrstufigen Verfahren aufgereinigt und so das Erbgut des Virus isoliert.

Mit einer sogenannten Polymerase Kettenreaktion (PCR) wird dann geprüft, ob tatsächlich Erbgut des Virus in der Probe vorhanden ist. Getestet wird auf Gene des Virus, deren Aufbau aufgrund der vorherigen Grundlagenforschung jetzt bekannt ist. Bei der PCR werden Gene des Virus vermehrt. Ist Virus-Erbgut in der Probe fällt der Test positiv aus. Ist kein Erbgut vorhanden, findet keine Reaktion statt, das Ergebnis ist negativ.

Die Durchführung der PCR selbst dauert nur wenige Stunden. Das Personal vieler Labore arbeitet seit Beginn der ersten Infektionen an der Belastungsgrenze, Schichten am Wochenende sind kein Einzelfall.

Im Idealfall werden auch positiv getestete Patienten, deren Symptome keine stationäre Behandlung erfordern, sondern bei denen eine häusliche Quarantäne ausreicht, regelmäßig ärztlich überwacht und getestet, um festzustellen, wann sie die Quarantäne verlassen und wieder am öffentlichen Lebens teilnehmen können. Da die Testkapazitäten oft nicht ausreichen, werden Abkürzungen gewählt. Ist eine Person positiv getestet, werden alle Personen des Haushalts ebenfalls als positiv definiert. Infizierte werden dann nur mehrmals getestet, wenn sie Risikogruppen angehören und ansonsten nach dem Abklingen offensichtlicher Symptome für gesund erklärt.

Einen Schnelltest, bei dem beispielsweise ein Streifen Papier, der mit Speichel oder Rachenabstrich des Patienten befeuchtet wird und sich dann verfärbt, ist zurzeit noch nicht erhältlich. Ebenfalls auf Hochtouren geforscht wird an Antikörpertests, die ermitteln, ob Patienten Antikörper im Blut haben. Antikörper werden von unserem Immunsystem zur Abwehr gebildet, nachdem eine Infektion stattgefunden hat. Antikörper lassen sich im Blut des Patienten erst ca. zehn Tage nach der Infektion nachweisen. Der Antikörper-Schnelltest ersetzt also den PCR Test nicht, ist aber sinnvoll, um festzustellen, ob eine Person immun gegen das Corona-Virus ist. So können auch symptomfreie, infizierte Personen erfasst werden.

Bis Ende Mai halten Forscher es für realistisch, dass ein sogenannter Antigen-Test erscheint. Antigene meist Proteine, in diesem Fall Proteine des Virus selbst, die dann per Test direkt nachweisen ob sich der Virus im Körper befindet. Diese Testvariante könnte dazu führen die Wartezeiten für Testauswertung deutlich zu reduzieren und Kapazitäten in den Laboren zu schaffen.

Therapie – welche Ansätze gibt es und wie lange dauert es ein Therapeutikum zu entwickeln

Ein neues Medikament benötigt durchschnittlich 13 Jahre, um von der Grundlagenforschung, dem Test auf Verträglichkeit und Wirksamkeit (klinische Prüfung), der Zulassung und der Massenproduktion bis zum Patienten zu gelangen. Dabei scheitert bei neun von zehn Medikamenten die Entwicklung, weil sich der Wirkstoff als nicht wirksam (genug) erweist oder es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommt. Die Kosten der Entwicklung eines neuartigen Medikaments werden auf ca. 1,1 bis 1,6 Milliarden Euro geschätzt, was auch die Kosten für gescheiterte Projekte mit einrechnet. Im Feld der Therapieentwicklung müssen also enorme Summen aufgebracht und große finanzielle Risiken getragen werden.

Unter diesen Voraussetzungen ist klar, dass ein erst heute begonnenes Entwicklungsprogramm für eine COVID-19-Therapie keine schnelle Hilfe für die Bewältigung der Corona-Pandemie darstellen kann. Manchmal sind aber auch Wirkmechanismen von vorhandenen Medikamenten vielversprechend für die Behandlung anderer Krankheiten.

Auch im Fall der COVID-19 Erkrankungen hoffen Forscherinnen und Forscher aus der Akademie und der Industrie, dass schon vorhandene Wirkstoffe helfen könnten, die schweren Verlaufsfälle zu therapieren. Um diese Wirkstoff-Kandidaten bei COVID-19 zu testen, sind aktuell zahlreiche klinische Studien in Vorbereitung bzw. laufen schon.

Eines der ersten Mittel, das bei schwer an COVID-19 erkrankten Patienten getestet wurde, war das HIV-Medikament Kaletra. Das Mittel soll verhindern, dass das Virus in menschliche Zellen eindringen und sich dort vermehren kann. Was beim HI-Virus gut funktioniert, scheint beim Corona-Virus nicht viel Erfolg zu versprechen. Eine erste Studie aus China kam zu keinen positiven Resultaten.

Das seit 80 Jahren in der Malaria-Prophylaxe eingesetzte Medikament Chloroquin ist ebenfalls gerade in der Erprobung. Auch hier fehlt es aktuell noch an Belegen, inwieweit solche Behandlungen wirklich symptomlindernd und sinnvoll sind.

Ursprünglich für Ebola entwickelt, aber auf Grund mangelnder Wirksamkeit nie zugelassen, wird ein Wirkstoff namens Remdesivir im Moment auf seine Wirkung beim Corona-Virus getestet. Sollte dieser Versuch erfolgreich sein, ist zu erwarten, dass eine Zulassung durch die Behörden im Schnelldurchgang erfolgen könnte.

Impfung – warum geht die Entwicklung eines Impfstoffes schneller als die einer Therapie? Welche Ansätze gibt es?

Bei einer Impfung wird das Immunsystems des Körpers darauf vorbereitet einen spezifischen Erreger zu bekämpfen. Anders als bei einem therapeutischen, symptomlindernden Ansatz, kommt es nach einer Impfung im Idealfall gar nicht erst zum Ausbruch der Krankheit. Aber auch die Entwicklung und Zulassung eines Impfstoffes ist kostenintensiv und kann nicht über Nacht erfolgen. Neue Impfstoffe müssen ebenso wie therapeutische Wirkstoffe in klinischen Prüfungen auf Verträglichkeit und Wirksamkeit getestet werden. Der Effekt einer erfolgreichen Impfung ist aber unmittelbar und trägt schnell dazu bei, die Infektionsrate zu senken, die Zahl der schweren Verläufe zu reduzieren und eine Rückkehr zu ursprünglichen Verhaltensweisen zu ermöglichen.

Aktuell forschen mehrere Unternehmen allein in Deutschland und 50 weltweit an der kurzfristigen Entwicklung eines Impfstoffs.

Alle Ansätze für die Entwicklung eines Impfstoffes beruhen auf biotechnologischen Methoden. Die verschiedenen Entwicklungsansätze basieren auf schon vorhandenen Technologieplattformen, die nun mit der genetischen Information des Coronavirus modifiziert werden müssen. Es ist also schon viel Vorarbeit und Erfahrung vorhanden. Die Adaption für den Corona-Virus sollte daher schneller gehen, als die Entwicklung eines ganz neuen Wirkstoffs.

Ein vielversprechender neuer Ansatz sind so genannte RNA-Impfstoffe. Sie enthalten Bauanleitungen von Genen des Virus, die in besondere Träger verpackt sind. Diese Träger ermöglichen, die Bauanleitungen in die Körperzellen einzuschleusen. Dort wird die Bildung von ungefährlichen Bausteinen (Proteine) des Virus auf Basis der Bauanleitung ausgelöst. Unser Immunsystem bildet dann gegen diese Bausteine Antikörper. Diese Antikörper wiederum schützen den Geimpften dann gegen den echten Virus. Der Ansatz ist auch deshalb so vielversprechend, da sich große Mengen des Impfstoffs schnell herstellen ließen.

RNA-Impfstoffe werden aktuell weltweit entwickelt, Das deutsche Unternehmen CureVac ist beispielsweise auf diesem Gebiet federführend. In den USA hat ein weiteres Unternehmen Mitte März eine erste Versuchsreihe mit freiwilligen Probanden gestartet worden.

Ein anderer Ansatz ist, Impfstoffe mit gentechnisch veränderten Viren herzustellen. Ungefährlichen Viren werden dabei gentechnisch Bauanleitungen des SARS-CoV-2 Virus‘ eingefügt. Diese so veränderten Viren können ebenfalls in unsere Körperzellen eindringen. Dort werden analog zu den RNA-Impfstoffen dann Bausteine des Virus produziert und so dann eine Immunreaktion im Körper hervorgerufen. Dieser Ansatz wird aktuell beispielsweise vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung verfolgt.

Experten rechnen nicht mehr mit der Zulassung eines Impfstoffes in 2020, sind aber zuversichtlich, dass im Laufe von 2021 Erfolge zu sehen sein werden.